Ein großes Dankeschön ans Universum für das letzte Wochenende und den Tag davor. Ohne das hätte ich am Montag Geiseln genommen, Leute ermordet, Terroranschläge nicht nur geplant, sondern auch fachgerecht durchgeführt.
Wahrscheinlich liest man es heraus: Ich hatte einen Schei...tag mit allem, was dazu gehört und besonderen Höhepunkten wie Gehirnzellenballett und Doofenbingo.
In irgendeinem Sprüchekalender habe ich mal gelesen, dass, mit dummen Leuten diskutieren das Gleiche wäre, als würde man mit Tauben Schach spielen. Auf den Punkt gebracht hatte ich heute die großartigste Schachparty meines Lebens.
Aber ich will nicht weiter darüber schreiben und schlimmstenfalls nachdenken. Viel lieber lasse ich das Wochenende nochmals Revue passieren. Dabei hätte es fast nicht stattfinden können.
Alles begann mit dem Zahnarztbesuch am Freitag. Ja, richtig gelesen. Ich war schon wieder beim Zahnarzt.

Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass ich in einem unglücklichen Moment eine 12er-Karte für diese Praxis gelöst habe. Bitte nicht falsch verstehen, ich mag meine Zahnärztin - wirklich!! Andererseits hätte ich nichts dagegen, weniger dort zu sein.
Wie auch immer, am Freitag wollte mein armer wurzelbehandelter Zahn mal wieder in das kleine Sprechzimmer. Ich war mir sicher, diesmal bleibt er dort! Aber meine Zahnärztin meinte mit Blick auf das Röntgenbild nur: "Soweit bin ich noch nicht." Klasse Sache! Wie weit mein Backenzahn und ich sind, danach fragt natürlich niemand. Aber gut!
Eine Wurzelbehandlung später stand ich mit diesem Zahn wieder draußen und einem grandiosen Wochenende mit einer guten alten Freundin stand nichts mehr im Weg.
Ich bin der Meinung, Freundschaft sollte im Grundgesetzt verpflichtend aufgenommen werden. Das wär mal was! Es hat nur Vorteile: man darf genauso sein, wie man sein will und eigentlich auch ist, man streift durch gemeinsame Erinnerungen und ist sich (meistens) absolut einig bei den wichtigsten Themen des Lebens. Klamotten, Schminke, Frisur und andere Äußerlichkeiten sind absolut nebensächlich!
Ich gebe zu, die Anfahrt durch den dunklen mecklenburgischen Wald stresst mich. Woher weiß ich, wie die Wildschweine und Rehe in dieser Gegend drauf sind. Vielleicht sind ja eine Handvoll Autofans dabei, die sich vorbeischleichende PKW (ich war so langsam, dass ich auch hätte schieben können) mal von Nahem anschauen wollen. Scheinbar steht "Auto" heute nicht auf der Top-10-Interessenliste und alle Schwarzkittel und Geweihträger bleiben im sicheren Wald. Ich bin schwer erleichtert!!...

... und glücklich, als hinter den letzten Bäumen die kleinen Siedlungshäuschen auftauchen, aus deren Fenstern behagliches Licht scheint.
Kaum in der Wohnküche angekommen, fällt alles von mir ab, der Stress der Woche, der Zahnarztbesuch, die laute und lichtdurchflutete Großstadt und der komplette Mist auf dieser Welt.
Los gehts: Po an den Kamin gehalten, Glas Wein in der Hand, Stulle vom Brett und zack wird geschwatzt, gelacht und bis in die Nacht diskutiert. Kein Wort über Firmen, Arbeit, erfrischend dumme Leute - nö!
Der gemeinsame Bekanntenkreis, die Söhne der Schulfreundinnen unserer Mütter, alte Nachbarn, alles ist interessant und muss ausgiebig bequatscht werden.
Gucki hat bis vor ein paar Monaten mir direkt gegenüber gewohnt. Da waren ein Glas Wein und die obligatorische Küchenzigarette schnell am Start. Heute schaue ich hoch, wenn ihre Wohnungstür (die nicht mehr ihre ist) ins Schloss knallt und erwarte den Klang der Wohnungsklingel. Ich bin konditioniert wie ein Cockerspaniel oder zu alt, um mich umfassend umzugewöhnen. So oder so vermisse ich die "gute alte Zeit" und bin umso glücklicher über dieses Treffen, halt nur ein paar hundert Kilometer weiter.
Das Bett in der Mädchenkammer ist herrlich bequem, trotzdem wache ich mitten in der Nacht auf. Es ist pupsdunkel und totenstill! Der Enkel meiner Freundin hat ähnliche Probleme, wenn er bei seiner Oma übernachtet und beschreibt es so: "Machste die Augen auf, denkste, du hast die Augen zu." Wie recht er hat! Keine Straßenlaterne oder ein übergriffiger Vollmond leuchtet einem ins Gesicht - nichts! Der Hahn hat Pause, die ständig blökenden Schafe auf der Nachbarswiese halten auch die Klappe und Autos verirren sich, zumindest Nachts, dorthin nicht. TOTENSTILLE!
Entsprechend tiefenentspannt startet der nächste Morgen. Auf dem Herd brutzeln Eierpfannkuchen, auf dem Tisch steht eine große Schüssel Obstsalat und ich könnte sterben vor Zufriedenheit.
Vor dem Fenster eine dichte Nebelsuppe und ein paar Grad Minus. Eigentlich will keine von uns vor die Tür. Aber da ist ja noch die Schrittzählerapp auf unseren Mobiltelefonen, diese blöde Kuh.
Also Mütze auf, Jacke an und ab in die ungemütliche Wirklichkeit von irgendwo am Ende der Heide.
Wir besuchen einen ganz besonderen Ort: die 1000jährigen Eichen von Ivenack bei Stavenhagen.

Hier war ich das letzte Mal von etwas mehr als 40 Jahren mit meinem Vater und meiner kleinen Schwester. Wir Kinder bekamen einen großartigen Vortrag über Fritz Reuter, der sich damals hier breit gemacht hat, zur Geschichte des Schlossparks und -natürlich- der Eichen.
Davon ist wenig im Gedächtnis geblieben, aber in meiner Erinnerung war es ein großartiger Ausflug, an den ich gerne zurückdenke.
Ich begreife, alles, was wir erleben, kommt nur einmal. Eine bösartige Uhr lässt die Zeiger ticken und die Zeit fließen. Wir können dagegen nur eins tun, Momente festhalten und in unserem inneren Album abspeichern, um sie irgendwann als vergilbte Fotografie zu finden und sich an die schönen Momente zu erinnern. Ich bin da ganz bei Sido!
Jetzt werde ich auch noch philosophisch - liebe Güte!
Zurück nach Ivenack, Aussichtsturm und Baumwipfelpfad. Der war natürlich geschlossen. Gucki ärgert sich, ich bin dankbar, bei dem Mistwetter nicht hoch zu müssen.
Die Weideschweine hingegen genießen die Waldmast und den Matsch auch in der Kälte. Wie halten die sich warm?

Bis auf ein paar Borsten haben die kein Fell. Muss ein hartes Leben sein, als Draußen-Schwein.
Ein paar Meter weiter treffen wir auf ein Rudel Dammwild (vielleicht war es auch Rotwild, Rehwild oder was anderes Wildes, allerdings äußerst Scheues). Der Wind steht gut. Die Jungs können uns nicht wittern, aber sehen. Was wohl an meinem pinken Mantel liegt.
Ich falle hier im Wald auf, wie ein Hering in einem Korb mit Erdbeeren. Also farblich wohl eher umgekehrt (sorry, ist schon spät).
Aber wir sind eigentlich hergekommen, um dicke Bäume zu sehen und davon gab es genug auf diesem Gelände. Die Durchmesser haben wir auf 4 - 5 Meter geschätzt. Vielleicht kommt Ihr auf mehr oder weniger. Ich gebe es gerne zu: Gucki und ich sind keine Weltmeister im Schätzen.
Das Lieschengrab rührt uns sehr. Es heisst übrigens Lies'chen nicht Lieschen, klar? Schwierig bei der irreführenden Schreibweise. Elisabeth oder eben Lieschen traf mit 15 ihre große Liebe, starb jedoch mit 22 Jahren, nachdem sie ihrem Herzblatt, einem Grafen, mehrere Kinder geboren hatte. WOW! Wie jung! Heutzutage stirbt man wahrscheinlich eher während der Tinder-Suche, bis man überhaupt den Richtigen findet.
Immerhin war der Graf derart traurig, dass er seiner Angebeteten ein Denkmal im Park aufstellen ließ, mit Inschriften in Französisch und Latein, was dort im tiefsten Mecklenburg damals sicher kaum jemand lesen konnte.
Aber mal ehrlich, diese Geschichte ist doch wirklich die Mutter aller Liebesromane.
Auf der Rückfahrt wollen wir unbedingt auf einen Abstecher zu Jackle & Heidi, dieser teuren Eismanufaktur.


Schade, dass es von unserer Fahrt kein Video-Dokument gibt. Google, Gucki und ich hatten absolut unterschiedliche Meinungen von der richtigen Route.
Es ist ganz schön laut, wenn drei Frauen, im Glauben, den richtigen Weg zu wissen, durcheinander schreien. Dass wir das kleine Eiscafe dann tatsächlich gefunden haben, halte ich für DAS Wunder des Wochenendes.
Eis wollte dann auch keine von uns, aber die Torten -alle selbstgebacken und megalecker- konnten wir nicht einfach so stehen lassen.
Nach der Torte ist vor dem Kaminsekt. Gott, wie ich dieses Haus und seine Wohnküche liebe!! Genau hier ging es weiter - mit Rindfleisch vom Nachbarsbauern und noch mehr Sekt, Diskutierzigaretten im Freien und lustigen Boomerangs (dafür ist man nie zu alt)!
Eine weitere Nacht mit Augenaufundzuexperimenten wird es plötzlich hell in der Kammer.

Der Sonntag grüßt mit klirrender Kälte aber strahlender Wintersonne durchs Fenster. Ich will hier nicht weg!
Ein letzter Weg durchs Dorf, vorbei am Käbelicksee zur Havel, die hier noch ganz schmal ist. Krebse sind hier leider ausgestorben, woran die Schwestern von Gucki nicht unschuldig sind. Sie haben vor Jahrzehnten hunderte von Exemplaren gefangen, die Familie hat sie fröhlich aufgegessen und die letzten Krebse haben das Weite sucht, wenn sie klug waren. Ich hätte es zumindest so gemacht, wenn ich Krebs(in) wäre ;-)
Die Wintersonne wärmt die Gesichter und irgendwie scheint alles auf den Frühling zu warten. Der kleine Laster, sauber abgeparkt auf der Bank, der wartet auch!!
Die dünne Eisdecke auf dem See verführt förmlich zu einem alten Kinderspiel: Wir lassen kleine Eissplitter über die Eisfläche fliegen. Kindheitsrituale sind sooooooo cool!!
Eine letzte Freundschaftszigarette, eine wehmütige Umarmung und unser Wochenende ist aus.
Ab jetzt sind Google und ich alleine unterwegs - durch den Wald, die Dörfer und rauf auf die B104. Ab hier wirds einfach - denke ich.
Erzähle Gott von deinen Plänen und er wird herzhaft lachen. Dieser Spruch stimmt leider immer.
Kurz nach dem Ortseingangsschild Waren stoppe ich vor einer fetten Straßensperre und einem Trupp Bauarbeitern.
Ab hier geht nichts mehr. Eine Umleitung ist leider nicht ausgeschildert und so versuche ich, dummerweise ohne Google, mein Glück.
Die Landschaft ist schön, nur leider stimmt die Richtung nicht. Ich drehe um und fahre erneut an verdutzten Bauarbeitern vorbei in die entgegengesetzte Richtung.
Sollte ich hier gleich erneut vorbeikommen, winke ich - fest vorgenommen! Vielleicht frage ich auch nach dem Weg, aber da bin ich mir im Moment nicht sicher.
Mein Weg führt mich durch enge Straßen der Altstadt, ich nehme einen fröhlichen Schwenk durch die Fußgängerzone und vorbei an kopfschüttelnden Passanten. Hinter mir reihen sich Autos mit fremden Kennzeichen ein. Die denken, ich weiß, wo es lang geht. Trotz meiner Wut muss ich lachen. Geile Polonaise! Ich fahre rechts ran, um Google zu befragen. Die Autos, die nun an mir vorbeifahren, befördern Menschen mit ratlosen Gesichtern. Ich feiere den Moment, muss aber nun wirklich weiter. Bis Lübeck sind es noch 200 Kilometer!
Google führt mich äußerst fürsorglich an der Müritz, dem kleinen Hafen und dem Müritzeum vorbei. Sollte ich der Straßensperrung dankbar sein? Ohne die hätte ich das sicher nicht gesehen.
Ein paar kleine Straßen weiter bin ich wieder auf der richtigen Route und kann meinen Gedanken freien Lauf lassen. Im Radio läuft "A long way home" von Supertramp, der Song meiner Jugend im Internat. Wieder schweife ich ab in die Vergangenheit, habe den Geruch unseres Zimmers in der Nase, schmecke den eher geschmacklosen Frühstückstee und genieße das warme Gefühl im Bauch, wenn alle versammelt sind, den Becher Rotwein in der Hand, der im Schein der, natürlich, verbotenen Kerzen leuchtet und alle fröhlich durcheinander schwatzen. Vergilbte Fotos! Erinnerungen! Man erlebt alles nur einmal und kann es nur durch Abspeichern festhalten.
Grinsend fahre ich auf die Autobahn und freue mich jetzt schon aufs Frühjahr an der Havel!
Bis dahin genieße ich die Augenaufaugenzuundimmernochdunkel-Momente in meiner Küche.

Herrlich, liebe Anne 😌