Auf eine Tasse Tee mit der Hauptfigur
- Anna
- 17. Juni
- 5 Min. Lesezeit
Wer meinen letzten Blog gelesen hat, weiß, dass ich die Geisterstunde im Mary Kings Close einigermaßen unbeschadet überstanden habe und nach einem kurzen Zwischenstopp sofort zurück in die schottische Hauptstadt gedüst bin.
Ich will unbedingt live dabei sein, wenn meine Hauptfigur die Puppen tanzen lässt.
Wo muss ich denn überhaupt hin? Ich entscheide mich für eine Tasse Tee vor dem Greyfriars Pub in der Candlemaker Row.

Es ist mein absoluter Lieblingsplatz in dieser Stadt, vor mir die Statue von Bobby, der immer noch auf die Rückkehr seines Herrchen zu warten scheint und im Rücken der Friedhof von Greyfriar, auf dem es seit vielen Jahren spukt. Wie sollte es auch anders sein, hier scheint es an jeder Ecke paranormale Phänomene zu geben.
Aber vielleicht sollte ich ein paar Worte dem treuen Bobby widmen. Er wird in den nächsten Kapiteln noch eine entscheidende Rolle spielen. Auch wenn es wieder nur eine Legende sein sollte, mich rührt diese Geschichte.

Bobby war der Hund eines Polizisten. Als dieser irgendwann starb, wich der Hund nicht von seinem Grab, bis es auch ihn in die ewigen Jagdgründe zog. Der Wirt vom nahen Pub brachte ihm jeden Tag ein wenig zu essen und sorgte anschließend dafür, dass der kleine Terrier ein Grab auf dem benachbarten Greyfriars Kirkyard, vor der Kirche bekam - im ungeweihten Boden - natürlich.

Ein Denkmal bekam der Hund auch und seine Bronzestatue steht direkt vor Greyfriars Pub. Der sauberste Fleck an dieser Statue ist die Schnauze. Kunststück - es bringt Glück diese zu berühren und so putzen tagtäglich zichtausend Leute dem Hund die Nase blank.

Hier sitze ich also nun, genieße meinen Ladygrey (viel "Grey" in dieser Stadt, findet Ihr nicht auch?) und lasse meinen Blick über die Straße schweifen. Lange muss ich gar nicht warten, da kommt er bereits daher geschlendert: untersetzt, nicht mehr ganz jung, abgewetzte Kleidung und ein pflaumenfarbenes Einstecktuch (von dieser Farbe wird er wohl nie lassen können).

Er ist sehr selbstsicher unterwegs, scheint jedoch auf irgendwen oder irgendetwas zu warten. Wie gebannt starrt er auf die kleine Mauer, die zum Friedhof führt und trinkt dabei seine Milch.
Als er mich bemerkt, wirkt er im ersten Augenblick genervt, gewinnt aber schnell seine Fassung wieder und bittet mich süffisant lächelnd an seinen Tisch.
Das lasse ich mir nicht zweimal sagen, schnappe mir meine Teetasse und wechsle den Platz.
Einen Hauch zu sehr entspannt lehnt er sich zurück und mustert mich aus halbgeschlossenen Augen. "Ist es Dir zu langweilig am Schreibtisch? Was willst Du hier?" Grinsend nippt er an seinem Glas Milch. Verlegen hebe ich die Schultern. Was soll ich darauf antworten?

Würde er mir glauben, dass ich ihm nachlaufe, ihn wachsam verfolge, um seine nächsten Schritte aufzuschreiben? Sicher nicht! Und über den Weg traut er mir schon gar nicht, aber das macht er mit niemanden. Ich starte den Gegenangriff. beuge mich vor und frage leise, "Was willst Du hier? Was gibt es spannendes an der Mauer zum Friedhof zu sehen?"
Er grinst ein überlegenes Grinsen. "Als wüsstest Du es nicht schon längst", und deutet auf den auf den flirrenden Schatten an der Wand, der, so plötzlich er aufgetaucht ist, schon wieder verschwunden ist.
"Du entschuldigst mich?" Ohne eine Antwort abzuwarten, erhebt er sich und spaziert mit langsamen Schritten auf den Eingang des alten Friedhofs, dem Greyfriars Kirkyard, zu.
Ich bin aufgesprungen, der Tee schwappt auf die Untertasse. "Casimir McFarlane! Warten Sie!" Er winkt, ohne seine Schritte zu verlangsamen oder sich umzudrehen. Eine Sekunde später ist er zwischen den Häusern verschwunden.
Greyfriars Kirkyard ist übrigens ein sehr interessanter Ort. Uralte Grabsteine aus dem 16.Jahrhundert, zum Teil bis zur Unkenntlichkeit verwittert, säumen die Wege der liebevoll angelegten Parkanlage. Hier liegen sie alle nebeneinander, Prominente und Unbekannte, richtig Reiche in pompösen Grabkapellen und weniger Betuchte in kleinen Gräbern am Rand, Tom Riddle, den JK Rowling hier aufspürte und sogar Bobby, direkt am Eingang. Klar, dass an so einem mystischen Ort in der schottischen Hauptstadt die Spukdichte enorm hoch ist. Scheinbar haben die schottischen Verblichenen der Nachwelt noch einiges zu sagen.

Tagsüber ist der Friedhof meist rappelvoll, die meisten Leute sind Touristen, die sich wohlig gruselnd mit oder ohne Führung hier durchdrängeln.
Hastig schlürfe ich den letzten Tee aus der Tasse und eile McFarlane hinterher.
Wie erwartet, ist es bereits hinter dem Eingang voll von Leuten.
Ich quetsche mich an einer Gruppe Japaner vorbei und laufe auf dem Sandweg rechts an der Kapelle in den hinteren Teil des Friedhofs. Nirgends kann ich einen älteren, untersetzten Herrn erblicken. Ein paar Schritte weiter wird es trotz strahlender Frühsommersonne schlagartig kalt. Ich schaue hoch und blicke direkt auf den dunklen Bau, direkt am Wegesrand.

Jetzt verstehe ich die plötzliche Kälte: Ich stehe vor dem Black Mausoleum, der Grabstätte von George Mackenzie. Er war ein Rechtsanwalt und starb vor bummelig 350 Jahren. Seine Strenge und Härte, wohl auch knallharten Urteile brachten ihm den Spitznamen "Bloody Mackenzie" (cooler Name übrigens für einen Cocktail) ein. Er hat sich entschlossen, seine Zeit nach dem Tod als Poltergeist zu verbringen. Übrigens erst seit knapp zwanzig Jahren, nachdem ein Obdachloser in seinem Mausoleum Unterschlupf suchte und einiges zerstörte.

Das scheint Bloody Georgie so sehr verärgert zu haben, dass er sich zum Spuken entschlossen hat.
Aber der interessiert mich gerade nicht, ich lasse meinen Blick schweifen und suche weiter nach Casimir McFarlane, der miesesten Figur aus dem ersten Teil, der es gelungen ist, ungeschoren davon zu kommen.
Langsam gehe ich weiter den Weg entlang und lese die Inschriften der alten Grabsteine.
Immer, wenn ich Friedhöfe besuche, wird mir die Endlichkeit bewusst. Den wenigsten von uns wird die Gnade (?) zuteil, dass sich die Menschen viele Jahrhunderte an einen erinnern.
Man lebt nur so lang, wie man sich an dich erinnert - habe ich mal gelesen. Da ist viel Wahres dran.
Sterben unsere Eltern, halten wir sie unser ganzes Leben in unserer Mitte und in Erinnerung. Gehen wir, dann erinnern sich vielleicht noch unsere Kinder, aber dann?
Falls Ihr Euch fragt, was dieses Kuddelmuddel an Bildern bedeutet, löse ich hier auf: Bild 1: sprechende Grabsteine auf dem Friedhof in Nieblum auf Föhr (eine sehr charmante Art, die Geschichte seiner Lieben durch die Jahrhunderte zu retten, Bild 2: Stolpersteine deportierter Juden aus Lübeck (auch das eine schöne Art der Erinnerung, Bild 3: Elsa, die geliebte Mutter von sicher auch bereits verstorbenen Kindern auf einem Schotterberg (mit diesem Foto versuche ich, Elsa nicht so schnell in die Vergessenheit zu überführen).
Meine Großmutter und ich pflegten ein Grab, welches wir zufällig auf einen unserer Friedhofsgänge fanden, das Grab eines dreijährigen Kindes: Elfriede Gloede. Sie starb vor ca. 120 Jahren und wir überlegten uns, wer ihre Eltern waren, was aus ihr, der Elfriede, geworden wäre, wenn sie überlebt hätte. Meine Großmutter hat etwas sehr Schönes angestoßen: die Erinnerung an einen Menschen, der, 1903 gestorben, inzwischen sicher vergessen worden wäre. Elfriede Gloede wird so lange lebendig sein, wie ich lebe. Das hätte sie auch nicht gedacht!
Man sagt immer ein Sarg hat kein Regal - wie richtig. Einen USB-Port für die Bilder des Lebens haben die meisten Särge meines Wissens übrigens auch nicht. Biste also tot, dann ausdieMaus! Denkt daran, wenn Ihr über einen Friedhof stiefelt und die Grabsteine anstarrt. Überlasst die unbekannten Seelen nicht der Vergessenheit, wenn es ihre Verwandten nicht mehr können.
Nun aber Schluss mit den morbiden Gedanken und raus ins laute Leben der Candlemaker Row, mitten in Edinburgh. Hier gibt es für mich noch sehr viel zu sehen und noch mehr zu tun!
Bis zum nächsten Blogeintrag werde ich die Zeit nutzen und mit meinen anderen Hauptfiguren ein Haus bauen., ein Miniaturmodell. Das Besondere an diesem Modell ist die oberirdische und gleichzeitig die unterirdische Ansicht. Hat viel mit der Geschichte Edinburghs zu tun und die ist richtig spannend!
Habt Ihr Fragen zu den einzelnen historischen Plätzen und Ereignissen, dann lasst mir einen Kommentar da.
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