Ankunft in Edinburgh - etwas gruselige Geschichte gefällig?
- Anna
- 30. Mai
- 3 Min. Lesezeit
Wow, das war ein langer Weg, aber jetzt bin ich endlich am Hauptschauplatz meiner Geschichte angekommen:
Der Weg vom Harz bis Schottland ist kein Katzensprung. Auch nicht für meine Hauptfigur, die es tatsächlich eilig hatte, vom Brocken wegzukommen. Sie wollte nichts mehr, als zurück nach Schottland. Dort ist sie geboren, dort kennt sie sich aus.
Ich hingegen brauche noch einen kleinen Moment, bis ich mich entschließe, ihr zu folgen.
Und da bin ich jetzt und stehe am Stadtrand von Edinburgh.
Zwei kleine Schritte und ich finde mich mitten im Getöse der Großstadt wieder: Sprachgewirr von tausenden Menschen, Verkehrslärm, laute Musik von Dudelsäcken, das laute Rufen der Touristenführer und ich mit meinem Stadtplan mittendrin.
Es ist gar nicht so leicht, sich im Gewirr der Straßen und Gassen zurechtzufinden.

Vor mir diskutieren zwei Jungs ärgerlich den bevorstehenden Schulausflug. Es soll ins Mary Kings Close zu einer "Kinderführung" gehen. Ich verstehe den Unmut. Die beiden sind mindestens 10 Jahre alt und für "Kinderführungen" definitiv zu alt.
Andererseits ist die Geschichte der "Unterwelt" von Edinburgh überaus interessant und zuweilen echt gruselig. Die Führung werde ich mir daher nicht entgehen lassen und schließe mich an.
Closes sind für die Edinburgher das, was für die meisten Städte Gässchen sind. In Lübeck nennen wir es "Gänge". Allerdings sollte ein Gang so breit (groß) sein, dass mindestens ein Sarg hindurch getragen werden kann. In manchen Closes, die ich gesehen habe, hätte man Beerdigungen feiern können. Aber das ist nun wirklich ein anderes Thema.
Im Mary Kings Close kann man sehr realistisch nachvollziehen, wie es ist, quasi "unter Tage" zu wohnen und man versteht, warum hier Kriminalität und Krankheiten einen guten Nährboden hatten.

Als die Bevölkerung im 18. Jahrhundert rasant anwuchs, beschloss man über diese Gassen/Closes eine Platte zu legen und diese mit Häusern zu überbauen. Diese Maßnahme erhielt den alten Wohnraum und schaffte gleichzeitig neuen. Clevere Idee, welche überdies die "natürliche Ordnung" beibehielt: die Armen unten, die Reichen in der Belletage. Natürlich waren die dunklen Gänge eine super Grundlage für Kriminalität, Prostitution und Krankheiten. Man munkelt, dass in Zeiten der Pest die Zugänge zu diesen abgedeckelten Wohnquartieren zugemauert und die Leute ihrem Schicksal überlassen wurden. Das ist Gottseidank nur ein Lügenmärchen. Allerdings wird die Pest unter den Armen übelst gewütet und viele Menschen dahingerafft haben. Es muss ein ziemliches Elend damals gewesen sein. Aber scheinbar haben sich einige der Toten (oder sollte ich besser von Untoten sprechen) in die Schatten zurückgezogen und geistern wohl noch immer durch unsere Welt.
Leise laufe ich hinter der Kindergruppe hinterher. Von der Museumsführerin verstehe ich kein Wort. Sie spricht ein schreckliches Dialekt. Dafür bemerke ich die Schatten, die an den Wänden entlangkriechen und höre das leise Wispern zwischen den alten Mauern.
Dort eine Bewegung! Ach nein, es war doch nichts.
Ein kalter Wind saust durch den Gang. Ein Geistergruß? Ach nö!
Der Berg Puppen, welche die Besucher für Lost Annie, einem kleinen pestkranken Mädchen, um den Kamin gelegt haben, löst bei mir eine meterdicke Gänsehaut aus. Ich muss an alte Horrorfilme denken, in denen Puppen und Kindergelächter vorkommen. Gar nicht gut!
Einer der Jungen vor mir schreit, ich zucke zusammen. Was ist passiert? Er schreit von einer kalten Hand, die ihn angefasst hat. Und jetzt spüre ich es auch: kalte Haut, die meine streift., obwohl niemand hinter oder neben mir steht.
Ich drehe mich um und renne zum Ausgang, hinter mir schreiende Kinder und kreischende Lehrer. Ich renne weiter und rufe dem Typ, der an der Tür lehnt, zu, er soll bitte öffnen. Er lacht ein hohles merkwürdiges Lachen. Seine Kleidung ist im Stil des ausgehenden 18. Jahrhunderts.

Ich rufe jetzt lauter, panischer. Er lacht. Ich kann nicht mehr stoppen und laufe durch ihn hindurch, öffne die Tür und - stolpere nach draußen in eine sommerliche Fußgängerzone.
"Kinderführung"?? Die spinnen doch, die Schotten.
Immerhin weiß ich jetzt, warum meine Hauptfigur unbedingt hier her wollte. Es gibt hier Unmengen an Geistern! Sie sollen ihm helfen, sein Schulden beim großen Hexenmeister zu begleichen. Hoffentlich wissen die schottischen Geister, mit wem sie sich einlassen (werden).
Ich brauche dringend eine Pause von meinen Schreibtisch und diesem gruseligen Manuskript.

Im gemütlichen Lieblingssessel mit Ausblick auf die Lübecker Altstadt geht es mir gleich viel besser.
Doch in den nächsten Tagen muss ich zurück nach Edinburgh!
Ich will mich an die Fersen meiner Hauptfigur heften und schauen, was sie anstellt und mit wem sie sich einlässt.
Außerdem werde ich das Gefühl nicht los, dass die beiden Jungs, mit deren Schulklasse ich das Mary Kings Close besucht habe, nicht ganz unwichtig für den weiteren Verlauf meiner Geschichte sein werden.
Eins steht zumindest fest, der zweite Teil vom Puppenhaus wird ziemlich spannend werden und für einige Gänsehäute sorgen!
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